I wie Ikarus

OT:
I … comme Icare

Jahr: F 1979
R,B: Henri Verneuil
B: Didier Decoin
K: Jean-Louis Picavet
M: Ennio Morricone
D: Yves Montand, Pierre Vernier, Jean-François Garreaud, Jean Négroni

Quelle: DVD (Pidax). Dank fürs Rezi-Exemplar!

Trailer

Feiertag für Marc Jary (Gabriel Cattand), Präsident eines fiktiven westlichen Staates: Nach seiner knappen Wiederwahl muss er lediglich noch seinen Amtseid ablegen, dann ist die zweite Präsidentschaft in trockenen Tüchern. Doch auf dem Weg in den Kongress bereiten drei Stückchen Blei allen Ambitionen ein Ende, abgefeuert aus dem Präzisionsgewehr eines Attentäters (Didier Sauvegrain). Der mutmaßliche Todesschütze begeht offensichtlich direkt und kurz vor seiner Festnahme dankenswerter Weise Selbstmord.
Nach einem Jahr liegt dann der Ergebnisbericht der Untersuchungskommission auf dem Tisch: Der Killer war ein psychopathischer Solist. Doch Kommissionsmitglied Henri Volney (Yves Montand), seines Zeichens Generalstaatsanwalt, verweigert seinen sprichwörtlichen Otto unter das Dokument. Denn nicht zuletzt war von oberster Stelle Druck auf die Kommission ausgeübt worden, mit der Bitte, ausschließlich in Richtung Einzeltäter zu ermitteln.
Letztendlich bedeutet die Verweigerung der Unterschrift, dass Volney und seine vier Assis die Ermittlungen neu aufrollen müssen. Diese ergeben bald auch ein immer stimmigeres, alternatives Bild vom Präsidentenmord. Ein Bild, in dem gekaufte und nicht gehörte Zeugen, das organisierte Verbrechen und die Machenschaften des eigenen Geheimdiensts eine Rolle spielen. Doch Volneys unbekannte Gegenspieler sind nicht untätig und tun alles, um Vögelchen aller Art stumm zu machen, bevor diese anfangen können zu singen.

Zitate:

Volney: „Alles an der Geschichte ist falsch. Alles.“

Die Kritik des Gunslingers

Henri Verneuil, der sich immer wieder mal seitwärts in die Büsche schlug und das Politdrama erkundete, lässt seinen Streifen zwar in einem fiktiven Staat spielen. Doch von Beginn an sind die Gegebenheiten klar: Uniformen, Staatsflagge und auch die Landeswährung – Dollar – lassen keine Zweifel aufkommen, dass die USA gemeint sind. Genauso wenig gibt’s zu deuteln an der Tatsache, dass der Mord an John F. Kennedy sozusagen Pate stand bei den gezeigten Geschehnissen. Das beginnt bei der Inszenierung der eigentlichen Tat, bei der Blickwinkel, Einstellungen und Motive in hohem Maße identisch scheinen mit dem bekannten Bild- und Filmmaterial des Kennedy-Mordes. Auch im weiteren Verlauf der Handlung flechtet der Film immer wieder Parallelen zu den historischen Ereignissen ein: gefakete Fotos, Amateurfilme, die eine andere Geschichte zu erzählen scheinen als die offizielle Lesart, bestimmte Ungereimtheiten bei den Ermittlungen.
Doch keine Angst: Der Streifen ist alles andere als eine dröge Nacherzählung oder eine Lehrstunde in Sachen politischer Bildung. Dazu war Verneuil zu sehr Unterhaltungsmann und auch dem Thriller verhaftet. So gestaltet sich die Ermittlungsarbeit Volneys trotz der stolzen Filmlänge von mehr als zwei Stunden als recht nüchtern inszenierte, aber immer spannende Jagd. Dabei hat der Zuschauer zumindest am Anfang einen deutlichen Wissensvorsprung vor dem Staatsanwalt. Wissen, was sich Volney erst erarbeiten muss, während wir sein Abstrampeln als Unterhaltungsmoment verfolgen. Mit Yves Montand hat Verneuil dazu einen Großen vor der Linse, der diese mehr oder weniger One-Man-Show souverän schultert. Hier hätte ich mir auch Lino Ventura vorstellen können, der zum Beispiel in „Die 100 Tage von Palermo“ ein paar Jahre später eine ähnliche Rolle bekleidete.
Der Streifen strahlt eine ich nenne es mal typische 70er-Jahre-Kälte aus. Ein Privatleben gibt es für die Protagonisten kaum. Der einzige Hinweis auf ein solches bei Volney sind ein Foto auf seinem Schreibtisch und ein Telefonat mit seiner Frau. Auch privater Wohnraum ist eher selten; die Architektur besteht vor allem aus modernen Bürohochhäusern, in denen sich der Alltag abspielt und in denen ein Luxusrestaurant mal das höchste der Gefühle ist.
Neben der Unkontrollierbarkeit von Geheimdiensten bis hin zur Verstrickung in Verbrechen – und das auch in demokratischen Staaten – geht es Verneuil um das Thema Autorität und Kadavergehorsam. So bildet das bekannte „Milgram-Experiment“ einen wichtigen Teil des Films. Letztlich gibt es hier nicht nur Hinweise darauf, wie das Wirkprinzip Befehl und Gehorsam funktioniert, bis zu welchem Punkt man sich Befehlen beugt, auch wenn sie den eigenen Wertevorstellungen entgegenlaufen. Es zeigt zudem die Mechanik von Diktaturen und wie eigentlich unvorstellbare Verbrechen wie der Holocaust prinzipiell möglich werden.

Rating: $$$$

Splatter: 3/10





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